Das Schweigen der linken Lämmer

von Insolution Team

Mit dem Emissionshandel werden hauptsächlich Geschäfte gemacht. Soziale und politische Erfordernisse werden mit dem Verweis auf den Klimawandel delegitimiert. von dirk maxeiner

Ich vermisse die Linke. Sind die alle zur Fortbildung in der evangelischen Akademie Loccum? Hallo, hallo, ist da wer? Es geht um Großbanken, Kapitalgesellschaften und Konzerne, denen von der internationalen Klimabürokratie ein neues Geschäft zugeschanzt wird: das mit heißer Luft. Es geht um Umverteilung von unten nach oben. Und es geht um soziale Missstände, die seit langem bekannt sind – und für die der Klimawandel plötzlich als Sündenbock herhalten soll.

Doch eins nach dem anderen. Beginnen wir mit den unsozialen Auswüchsen des Emissionshandels. Dank undurchsichtiger Regeln, Buchhaltertricks und mangelnder Kontrollen werden Milliardenprofite gemacht – und dies alles auf Kosten der Arbeitnehmer, der Arbeitsplätze und der kleinen Leute – ohne dass irgendeine Auswirkung auf das Klima dabei herauskommt. Warum lässt sich die Linke das gefallen? Muss der kritisch-linke Verstand nach Nennung der Vokabel Klimaschutz wirklich ausgeschaltet werden?


Die Idee mit dem Emissionshandel klingt zunächst verlockend: Um das Gesamtvolumen an Abgasen nicht zu überschreiten, werden an Kraftwerke und Industrieanlagen Emissionsrechte ausgegeben. Wer mehr CO2 ausstößt, muss Rechte zukaufen. Wer unter seinem Limit liegt, kann verkaufen. Dieser Marktmechanismus soll Kohlendioxid dort einsparen, wo es am wenigsten kostet. Und nun zur Praxis. In Deutschland wurden die Anteile im Hinterzimmer ausgekungelt. Anschließend kalkulierten die Energiekonzerne die geschenkten Zertifikate – buchhalterisch richtig – mit ihrem theoretischen Kaufwert in die Strompreiskalkulation ein, was ihnen vier bis sechs Milliarden Euro einbrachte (in ganz Europa fielen den Konzernen rund 20 Milliarden dieser windfall profits in den Schoß). Bezahlt hat dafür die Bevölkerung mit der Stromrechnung – ohne dass auch nur ein Gramm Kohlendioxid eingespart worden wäre.

Kumpanei zwischen staatsnahen Großkonzernen und Politikern ging immer auf Kosten der kleinen Betriebe und der Bevölkerung – und so wird es wohl auch diesmal sein. Große Firmen lieben den Klimawandel, sie werden mit Restriktionen und der aufgeblasenen Bürokratie zurechtkommen, ihre kleinen Mitbewerber nicht. In den ersten beiden Jahren des Emissionshandels stiegen die Strompreise fast überall in Europa an. Der Kohlendioxidausstoß sank jedoch nicht – im Gegenteil: Er stieg ebenfalls an.


Und es wird noch viel dicker kommen. Weil europäische Länder wie Spanien ihre Kyoto-Verpflichtungen nicht einhalten können, kaufen sie in großem Stil Emissionsrechte in China oder Indien. Dort haben Unternehmen ein neues Geschäftsmodell erfunden. Bei ihrer Kältemittelproduktion entsteht als Abfallprodukt Fluoroform, das 10 000 Mal treibhauswirksamer als Kohlendioxid ist. Die Substanz kann technisch relativ einfach aufgefangen und verbrannt werden. Die notwendigen Investitionen dafür schätzt man auf insgesamt 100 Millionen Euro. Im Rahmen des Emissionshandels erwirtschaften die Unternehmen für die einfache technische Umstellung jedoch beinahe fünf Milliarden Euro. Deshalb steigern sie ihre Produktion sogar, um beim Verbrennen des Abfallstoffes möglichst viele Emissionsgutschriften zu produzieren. Außerdem hat die höhere Produktion auch mehr Umweltverschmutzung und Kohlendioxid-Emissionen zur Folge.

Alle großen Bankhäuser investieren massiv in diesen Goldgräbermarkt. Die Dresdner Bank hat sich gerade mit – Überraschung! – Gazprom zusammengetan, um Emissionsrechte im geschätz­ten Umfang von 15 Milliarden Euro zu generieren. Der russische Staat und die herrschenden Oligarchen sind in dieser Hinsicht sehr erfinderisch. Das Land hat unlängst seine als Referenzwert verbindlichen Kohlendioxid-Emissionen von 1990 angemeldet. Und diese sind um eine halbe Milliarde Tonnen höher als ursprünglich avisiert (nach Angaben der Beratungs­gesellschaft Carbonpoint). Das bedeutet zusätzliche Emissionsrechte in Höhe des gesamten Jahresausstoßes der deutschen Industrie. Und was will man damit machen? Bingo: Die dumm gehaltenen Massen der Industriestaaten werden dafür bezahlen – häufig mit ihrem Arbeitsplatz. Der global agierende ökokapitalistische Komplex hat mit fiktiven Emissionsrechten so etwas wie eine Gelddruckmaschine erfunden. In den Villen im Tessin knallen die Champagnerkorken.

Der so genannte Mechanismus der sauberen Entwicklung (Clean Development Mechanism) macht die Sache nicht unproblematischer. Auch dahinter steckt theoretisch eine gute Idee. Ein wachsendes Unternehmen, das in Deutschland mehr Kohlendioxid produziert, soll zugleich Entwicklungsländern helfen können. Beispielsweise durch Anpflanzung einer Plantage in Afrika oder Modernisierung eines Kraftwerks in China.


Doch die große Frage lautet: Waren solche Maßnahmen ohnehin geplant, oder sind sie tatsächlich ein originärer Beitrag zum Klimaschutz? »Auch mein Heimatland Südafrika hofft, aus dem Klimawandel kurzfristigen Profit zu schlagen«, berichtet der Schriftsteller Zakes Mda. »Berater und Experten in Sachen Emissionshandel kreisen bereits wie Geier über dem Land und spähen nach umweltfreundlichen Komponenten in bereits existierenden Projekten, die sich dann als Emissionsgutschriften nach Europa verschachern lassen.« Bei manchen dieser vorgeblichen Klimaschutzprojekte kommt dann obendrein der Umweltschutz und die Gesundheit der Menschen unter die Räder. So müssen sich die Bewohner eines Armenviertels in Durban mit einer Giftmülldeponie arrangieren, die seit Jahren für Krankheiten verantwortlich gemacht wird. Nun darf sie nicht geschlossen werden, weil das Methangas daraus abgeleitet und in »grüne« Energie umgewandelt werden soll – was sich wiederum als Emissionsgutschrift verkaufen lässt.

Doch nicht nur Banken und Großkonzerne haben den Klimawandel ins Herz geschlossen. Auch Politiker lieben ihn, die Klimakatastrophe als Ausrede für staatliches oder gesellschaftliches Versagen ist groß im Kommen. Mehr und mehr bildet sich ein Klima-Determinismus heraus, der für seit langem bekannte Missstände eine bequeme neue Begründung liefert.


Die Überflutung von New Orleans beispielsweise hatte allenfalls indirekt mit dem zu diesem Zeitpunkt bereits schwachen Hurrikan Katrina zu tun. Eine Flutwelle durchbrach erst im Nachgang die falsch konstruierten Betonmauern der Stadt. New Orleans erlebte eine Katastrophe von Menschenhand. Allerdings nicht per Umweg über das Kohlendioxid, sondern ganz direkt durch behördliche Schlamperei und Ignoranz.

Die kanadischen Inuit haben eine deutlich geringere Lebenserwartung als die übrigen Bewohner des Landes, sechsmal so häufig Tuberkulose, die Arbeitslosigkeit ist viermal so hoch, der zahlreiche Nachwuchs genießt selten eine höhere Schulbildung. Alkoholismus, Depressionen und Gewalt sind an der Tagesordnung – und dies schon seit Jahrzehnten. Keine ethnische Gruppe in der ganzen westlichen Welt hat eine so hohe Selbstmordrate wie die Inuit. Die Gründe dafür sind vielschichtig, vor allem ist es nicht gelungen, ihnen vernünftige Ausbildung angedeihen zu lassen und Perspektiven zu geben. Doch anstatt über sozial- und strukturpolitische Versäumnisse zu reden, zeigen Verantwortliche lieber auf den Klimawandel.

Auch die sozialen Missstände, die im heißen Sommer 2003 viele tausend alte Franzosen das Leben kosteten, waren seit langem bekannt. 80 Prozent der französischen Altenheime litten unter eklatantem Personalmangel, der in den Urlaubsmonaten noch wuchs. Nicht die Hitze an sich, sondern die absolut unzureichende Betreuung führte zum Tod vieler Menschen. Das waren keine Klimaopfer, sondern Leidtragende von ganz konkreten Missständen. Diese müssen hier und heute gelöst werden – und nicht in 100 Jahren auf dem Umweg über den Klimaschutz.

Doch unverdrossen übertreffen sich die Prognosen mit Schreckensmeldungen über künftige Hitzetote. »Jedes Jahr 86 000 Tote durch Hitze in Europa«, verkündete Anfang 2007 eine Studie der EU-Kommission. Dabei bleibt unerwähnt, dass nach Einschätzung der meisten Fachleute kalte Winter deutlich mehr Opfer kosten als warme Sommer. In Großbritannien sterben im Winter sogar mehr Menschen in Folge von Kälte als in Russland oder in Finnland. Kern des Problems sind die niedrigen Renten; rund zwei Millionen Briten beziehen nur eine kleine Mindestrente. Womit sich der Kreis schließt: Wenn die Energiepreise dank Emissionshandel weiter steigen, geraten immer mehr alte Menschen in Bedrängnis. Die Betroffenen können jetzt auf mildere Winter hoffen – aber das hieße ja, dem Klimawandel etwas Positives abzugewinnen.

Quelle:
Von Dirk Maxeiner erscheint Anfang September das Buch »Hurra, wir retten die Welt! Wie Politik und Medien mit der Klimaforschung umspringen«. wjs-Verlag Berlin, 230 Seiten, 19,90 Euro

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