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Banken – Wie der Finanzmarkt zum Hort des Betrugs wurde

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Wie der Finanzmarkt zum Hort des Betrugs wurde

Fast täglich werden neue Fälle von Manipulationen durch die Banken bekannt. Sie zeigen den Verfall der Geschäftsmoral in dieser Branche. Nur drastische Maßnahmen können den Kreislauf stoppen.

Weißes Haar, Einstecktuch, Manschettenknöpfe – Christian Dyckerhoff wirkt schon äußerlich wie der typische distinguierte Hanseat. Etwas altmodisch vielleicht, aber durch und durch honorig, ganz so, wie es dem Bild eines ehrbaren Hamburger Kaufmanns entspricht.

Und das ist er auch, das repräsentiert er auch, denn Dyckerhoff ist Vorsitzender der „Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg“.

Die Vereinigung will die Prinzipien der Korrektheit, des Anstands und der Fairness im Geschäftsleben verteidigen und ihnen zu allgemeiner Geltung verhelfen. Fast 500 Jahre tut sie dies schon. Doch selten in dieser langen Zeit fiel es ihr so schwer wie heute.

Kaum ein Tag ohne neue Betrugsvorwürfe

Denn der wichtigste Pfeiler der Wirtschaft, der Finanzsektor, versinkt gerade in einem Sumpf aus Lüge und Betrug. Erst vergangene Woche verhängte die EU eine Strafe von 1,7 Milliarden Euro gegen sechs europäische Banken, die jahrelang den wichtigsten Zinssatz der Welt, den Libor, manipuliert hatten.

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die selben Akteure stehen im Verdacht, Devisenkurse frisiert und Rohölpreise verbogen zu haben, verbotene Absprachen beim Derivatehandel getroffen und den Aluminiummarkt ausgehebelt zu haben. Es vergeht kaum ein Tag ohne eine neue Nachricht über illegale Handlungen in den Banktürmen dieser Welt.

Man kann die unmoralischen Banker als Reaktion darauf mit Geldstrafen belegen, und man kann sie mit Verachtung strafen. Zu fürchten ist jedoch, dass dies allein nichts ändert. Denn dadurch werden die Ursachen nicht bekämpft und nicht beseitigt. Die sehen Experten in mangelnder Regulierung, aber auch im Verlust des ethischen Kompass.

Und sie sehen nicht allein die Banker am Pranger, auch manch Kleinsparer verhalte sich nicht anders. Bessere Aufsicht und schärfere Gesetze reichen daher nicht, um eine Entwicklung umzukehren, die schon vor mehr als 30 Jahren begann.

Gier wurde plötzlich etwas Gutes

 

Denn damals, zu Begin der 80er Jahre, hat sich für Christian Dyckerhoff ein entscheidender Wandel vollzogen. „Seither hat die Erkenntnis um sich gegriffen, dass Gier etwas Gutes sei, dem man nachgeben sollte“, sagt der 63-Jährige, der lange vor diesem Wendepunkt ins Berufsleben eingestiegen war.

„Die gnadenlose Durchsetzung eigener Interessen ohne Rücksicht auf andere galt plötzlich als richtig.“ Etwas, das dem Selbstbild des hanseatischen Kaufmanns diametral gegenübersteht. „Für einen ehrbaren Kaufmann ist der Gedanke entscheidend, dass man einen Geschäftspartner nicht übervorteilt und dessen berechtigten Interessen berücksichtigt.“

Das aber war passé. Nun stand der persönliche finanzielle Erfolg über allem. Aus den angelsächsischen Ländern sei dieser Gedanke zu uns gekommen, so Dyckerhoff, vor allem im Finanzsektor, und befördert durch dessen Erfolg. Denn in den 80er Jahren startete eine jahrelange Aktienhausse, ausgelöst durch die Liberalisierung der Märkte.

Man konnte zusehen, wie mancher dadurch in unglaublich kurzer Zeit unglaublich reich wurde. Das weckte Neid, andere wollten ebenfalls dabei sein. Und die lockereren Regeln machten es ihnen leicht.

Selbst Gewerkschafter machten mit

 

Doch schon damals wurden nicht alle dadurch vermögend, dass sie einfach nur Aktien kauften. Selbst ein Gewerkschafter, der Chef der IG Metall Franz Steinkühler, musste 1993 zurücktreten, weil er als Aufsichtsrat der Daimler-Benz AG Insiderinfos für private Aktiengeschäfte genutzt haben soll. Und er war nur einer der wenigen, die aufflogen.

„Was glauben Sie, wie in den 90ern all die Banker und Investmentprofis so schnell so reich werden konnten“, sagt ein ehemaliger Wertpapierhändler. Insiderinformationen zu nutzen sei gang und gäbe gewesen. Ein kurzer Anruf hier, ein paar Informationen dort – entscheidend sei gewesen, keine Spuren zu hinterlassen.

„Das Entdeckungsrisiko war zu jener Zeit sehr gering“, sagt auch Dorothea Schäfer, Professorin für die Finanzmärkte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Hinzu kam, dass die erwartbaren Gewinne bei einem Regelverstoß in keinem Verhältnis zu den möglichen Strafen standen. Wer mit exorbitanten Gehältern und Millionen-Boni rechnen kann, wenn es gut läuft, der lässt schnell mal Fünfe gerade sein.

Aufseher vertrauten auf Redlichkeit

 

So kamen die Händler in den Banken auch irgendwann auf die Idee, den Libor-Satz zu manipulieren. Dieser Referenzwert soll den Zins widerspiegeln, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen. Er dient daher als Bezugsgröße für Hunderttausende von Geldgeschäften, beispielsweise auch für die Darlehenszinsen, die ein Privatkunde zahlen muss.

Das Einfallstor für die Manipulation war die Tatsache, dass die Banken den Wert selbst festlegten. Und da lag es nahe, ihn so zu manipulieren, dass die eigenen Gewinnmargen maximiert wurden. Ganz ähnlich verlief es bei den meisten anderen Marktmanipulationen, sei es im Devisenhandel, im Derivatehandel oder im Goldhandel. Fast immer schuf die lockere Regulierung erst die Möglichkeit dafür.

„Die Aufseher hatten ziemlich naiv in die Redlichkeit der Akteure vertraut“, sagt Falko Fecht, Professor für Finanzökonomie an der Frankfurt School of Finance and Management. Es gebe zudem Hinweise, dass die Aufsicht die Manipulationen sogar sehenden Auges hingenommen habe.

Regulierung alleine reicht nicht

 

Er fordert daher ein strikteres Durchgreifen der Aufseher, aber auch mehr Transparenz. So frage er sich, warum die Festlegung solch zentraler Finanzmarktpreise wie des Libor-Satzes eigentlich den privaten Banken überlassen werde.

Beim Devisenmarkt wiederum, an dem jeden Tag Billionen umgesetzt werden, sei nicht einzusehen, dass dieser immer noch höchst intransparent ausschließlich zwischen den Banken stattfinde, womit der Manipulation Tür und Tor geöffnet seien. Der Währungshandel wäre auf einer öffentlichen, transparenten Plattform viel besser aufgehoben, so wie auch Aktiengeschäfte an öffentlichen, transparenten Börsen etabliert seien.

Andre Spicer, Professor an der Cass Business School der City University of London, zweifelt jedoch, dass dies reicht. „Regulierung ist Teil der Lösung“, sagt er, „entscheidend ist aber, in der gesamten Branche Verhaltensweisen zu verankern, die höheren ethischen Maßstäben entsprechen“, sagt er. Denn der Libor-Skandal, an dem praktisch alle großen Institute beteiligt waren, habe gezeigt, dass es nicht um Ausnahmefälle gehe. Das Problem sei vielmehr die Kultur in der gesamten Finanzindustrie.

Umfragen offenbaren Abgrund aus Unmoral

 

Das untermauern aktuelle anonyme Umfragen in der Branche. So befragte die New Yorker Anwaltskanzlei Labaton Sucharow im Juli 250 Finanzprofis der Wall Street. Ein Viertel der Befragten gab zu, sie würden ein Insidergeschäft tätigen, wenn sie damit zehn Millionen Dollar verdienen könnten und gute Chancen bestünden, damit durchzukommen.

Diese Chance wiederum scheint groß zu sein, denn 17 Prozent glauben, ihre Chefs würden in diesem Fall wegschauen. Ebenfalls ein Viertel hat der Umfrage zufolge schon ein Fehlverhalten unmittelbarer Kollegen beobachtet.

Fast noch schlimmer sind die Ergebnisse einer ähnlichen Umfrage des CFA Institute, einer Organisation, die sich der Ausbildung von Finanzfachleuten verschrieben hat und dabei großen Wert auf das ethische Fundament legt. Demnach glauben 53 Prozent der Top-Manager in der Finanzwelt, ein beruflicher Aufstieg in Finanzhäusern sei schwierig, wenn ethische Standards nicht „flexibel“ gehandhabt würden.

Kleinsparer sind oft nicht viel besser

 

Der ethische Kompass scheint also verloren. Allerdings: Dies gilt nicht nur für die großen Spieler am Finanzmarkt. Es scheint ein Phänomen zu sein, das alle Akteure der Wirtschaft betrifft. Christian Dyckerhoff macht dies an einem Beispiel deutlich. „Früher war es üblich, dass geschäftliche Verträge relativ kurz gefasst waren“, sagt er.

Denn im Zweifel galt der Geist des Vertrages, beide Seiten legten Streitfälle so aus, wie es dem ursprünglich angelegten Sinn der Übereinkunft entsprach. „Heute dagegen muss in Verträgen auch das allerletzte Detail geregelt werden, da man sich nicht mehr darauf verlassen kann, dass der Geschäftspartner so denkt und handelt.“

Das schlägt sich auch und vor allem auf die Börsenprospekte nieder, die Firmen beim Börsengang veröffentlichen müssen. Denn in den vergangenen 15 Jahren ist es üblich geworden, dass Aktionäre, die mit einer Aktie Geld verloren haben, dies nicht als Fehlspekulation abhaken.

Klagen wurde zum Volkssport

 

Eine ganze Anwaltsindustrie hat sich entwickelt, die akribisch nach winzigen Fehlern in Prospekten sucht, um im Auftrag der Kleinaktionäre dann gegen die Firmen zu klagen. Auch wenn kaum jemand glaubt, dass die jeweiligen Fehler im Prospekt, die es praktisch jedes Mal gibt, irgendetwas mit der Fehlinvestition zu tun haben, ist dieses Vorgehen immer wieder von Erfolg gekrönt.

Andere Aktionäre haben sich darauf spezialisiert, Beschlüsse von Hauptversammlungen gerichtlich anzufechten, auch hier meist, indem sie sich auf völlig irrelevante Details stürzen. Sie erreichen damit jedoch, dass die Firmen wichtige Beschlüsse nicht umsetzen können, so dass manch Unternehmen die Kläger schon mit viel Geld ruhig gestellt hat – und man darf davon ausgehen, dass genau dies deren Ziel war.

Kurz: Das ethisch-moralische Fundament muss nicht nur in den Banken restauriert werden. Ähnliches gilt für den gesamten Finanzmarkt, auch für Kleinsparer und Aktionäre, für die gesamte Wirtschaft. Doch wie kann dies erreicht werden?

Der „ehrbare Kaufmann“ muss wieder Leitbild werden

 

Für Christian Dyckerhoff sind vor allem die Manager in der Verantwortung. Sie müssten die Prinzipien eines ehrbaren Kaufmanns vorleben, dies in ihrer Führung zeigen und umsetzen. Dazu gehöre, dass man nicht alles macht, was rechtlich möglich ist, wenn dies der Anstand verbietet. Sie müssen dafür sorgen, dass Mitarbeiter entsprechend geschult werden, und darauf hinwirken, dass unethisches Verhalten aufgedeckt wird.

Zugleich müsse auch über Geld geredet werden. „Es kann nicht sein, dass jemand nach zweijähriger Tätigkeit mit Anfang 40 so viel Geld verdient hat, dass er danach nicht mehr arbeiten muss“, sagt er. Dies schaffe falsche Anreize.

Niedrigere Gehälter und höhere Strafen

 

Dies sieht Dorothea Schäfer ganz ähnlich. „Wenn die Belohnungen für den Erfolgsfall kleiner werden, dann schrumpft auch der Anreiz, diesen Erfolg mit unlauteren Mitteln herbeizuführen.“ Konkret müssten die exorbitanten Gehälter und die enormen Bonuszahlungen in der Finanzindustrie drastisch gekürzt werden. Denn dann verschiebe sich das Verhältnis zwischen dem erwartbaren Gewinn bei einem Regelverstoß und den zu erwartenden Strafen bei Entdeckung.

Dieses Verhältnis müsse zudem zusätzlich verändert werden, indem die Strafen erhöht werden. „Die Deutsche Bank muss jetzt zwar 725 Millionen Euro Strafe wegen der Manipulation des Libor-Satzes zahlen“, sagt sie. „Aber im Verhältnis zu den Gewinnen der vergangenen Jahre und dem, was die Bank auch heute wieder verdient, ist das lächerlich.“

Nur wenn die Strafen im Falle von Betrug und Manipulation die Existenz einer Bank oder eines Unternehmens gefährden, kann die Angst davor wirklich zu einer Verhaltensänderung führen.

Das Stahlgewitter, das derzeit über die Finanzindustrie hereinbricht, trägt allerdings sicher auch dazu bei. Und Christian Dyckerhoff immerhin sieht Anzeichen, dass eine Trendwende schon eingeleitet ist. „Wir erleben bereits Veränderungen“, sagt er. Allerdings ordnen die hanseatischen Kaufleute ihre Werte und Ziele eben nicht in die Chronologie von Monaten oder Jahren sondern von Jahrhunderten ein. So lange können Sparer und Anleger nicht warten. Quelle: Die Welt

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