Das Schweigen der linken Lämmer
von Insolution Team
Ich vermisse die Linke. Sind die alle zur Fortbildung in der
evangelischen Akademie Loccum? Hallo, hallo, ist da wer? Es geht um Großbanken,
Kapitalgesellschaften und Konzerne, denen von der internationalen
Klimabürokratie ein neues Geschäft zugeschanzt wird: das mit heißer Luft. Es
geht um Umverteilung von unten nach oben. Und es geht um soziale Missstände, die
seit langem bekannt sind – und für die der Klimawandel plötzlich als Sündenbock
herhalten soll.
Doch eins nach dem anderen. Beginnen wir mit den
unsozialen Auswüchsen des Emissionshandels. Dank undurchsichtiger Regeln,
Buchhaltertricks und mangelnder Kontrollen werden Milliardenprofite gemacht –
und dies alles auf Kosten der Arbeitnehmer, der Arbeitsplätze und der kleinen
Leute – ohne dass irgendeine Auswirkung auf das Klima dabei herauskommt. Warum
lässt sich die Linke das gefallen? Muss der kritisch-linke Verstand nach Nennung
der Vokabel Klimaschutz wirklich ausgeschaltet werden?
Die Idee mit
dem Emissionshandel klingt zunächst verlockend: Um das Gesamtvolumen an Abgasen
nicht zu überschreiten, werden an Kraftwerke und Industrieanlagen
Emissionsrechte ausgegeben. Wer mehr CO2 ausstößt, muss Rechte zukaufen. Wer
unter seinem Limit liegt, kann verkaufen. Dieser Marktmechanismus soll
Kohlendioxid dort einsparen, wo es am wenigsten kostet. Und nun zur Praxis. In
Deutschland wurden die Anteile im Hinterzimmer ausgekungelt. Anschließend
kalkulierten die Energiekonzerne die geschenkten Zertifikate – buchhalterisch
richtig – mit ihrem theoretischen Kaufwert in die Strompreiskalkulation ein, was
ihnen vier bis sechs Milliarden Euro einbrachte (in ganz Europa fielen den
Konzernen rund 20 Milliarden dieser windfall profits in den Schoß). Bezahlt hat
dafür die Bevölkerung mit der Stromrechnung – ohne dass auch nur ein Gramm
Kohlendioxid eingespart worden wäre.
Kumpanei zwischen staatsnahen
Großkonzernen und Politikern ging immer auf Kosten der kleinen Betriebe und der
Bevölkerung – und so wird es wohl auch diesmal sein. Große Firmen lieben den
Klimawandel, sie werden mit Restriktionen und der aufgeblasenen Bürokratie
zurechtkommen, ihre kleinen Mitbewerber nicht. In den ersten beiden Jahren des
Emissionshandels stiegen die Strompreise fast überall in Europa an. Der
Kohlendioxidausstoß sank jedoch nicht – im Gegenteil: Er stieg ebenfalls an.
Und es wird noch viel dicker kommen. Weil europäische Länder wie
Spanien ihre Kyoto-Verpflichtungen nicht einhalten können, kaufen sie in großem
Stil Emissionsrechte in China oder Indien. Dort haben Unternehmen ein neues
Geschäftsmodell erfunden. Bei ihrer Kältemittelproduktion entsteht als
Abfallprodukt Fluoroform, das 10 000 Mal treibhauswirksamer als
Kohlendioxid ist. Die Substanz kann technisch relativ einfach aufgefangen und
verbrannt werden. Die notwendigen Investitionen dafür schätzt man auf insgesamt
100 Millionen Euro. Im Rahmen des Emissionshandels erwirtschaften die
Unternehmen für die einfache technische Umstellung jedoch beinahe fünf
Milliarden Euro. Deshalb steigern sie ihre Produktion sogar, um beim Verbrennen
des Abfallstoffes möglichst viele Emissionsgutschriften zu produzieren. Außerdem
hat die höhere Produktion auch mehr Umweltverschmutzung und
Kohlendioxid-Emissionen zur Folge.
Alle großen Bankhäuser investieren
massiv in diesen Goldgräbermarkt. Die Dresdner Bank hat sich gerade mit –
Überraschung! – Gazprom zusammengetan, um Emissionsrechte im geschätzten Umfang
von 15 Milliarden Euro zu generieren. Der russische Staat und die herrschenden
Oligarchen sind in dieser Hinsicht sehr erfinderisch. Das Land hat unlängst
seine als Referenzwert verbindlichen Kohlendioxid-Emissionen von 1990
angemeldet. Und diese sind um eine halbe Milliarde Tonnen höher als ursprünglich
avisiert (nach Angaben der Beratungsgesellschaft Carbonpoint). Das bedeutet
zusätzliche Emissionsrechte in Höhe des gesamten Jahresausstoßes der deutschen
Industrie. Und was will man damit machen? Bingo: Die dumm gehaltenen Massen der
Industriestaaten werden dafür bezahlen – häufig mit ihrem Arbeitsplatz. Der
global agierende ökokapitalistische Komplex hat mit fiktiven Emissionsrechten so
etwas wie eine Gelddruckmaschine erfunden. In den Villen im Tessin knallen die
Champagnerkorken.
Der so genannte Mechanismus der sauberen Entwicklung
(Clean Development Mechanism) macht die Sache nicht unproblematischer. Auch
dahinter steckt theoretisch eine gute Idee. Ein wachsendes Unternehmen, das in
Deutschland mehr Kohlendioxid produziert, soll zugleich Entwicklungsländern
helfen können. Beispielsweise durch Anpflanzung einer Plantage in Afrika oder
Modernisierung eines Kraftwerks in China.
Doch die große Frage
lautet: Waren solche Maßnahmen ohnehin geplant, oder sind sie tatsächlich ein
originärer Beitrag zum Klimaschutz? »Auch mein Heimatland Südafrika hofft, aus
dem Klimawandel kurzfristigen Profit zu schlagen«, berichtet der Schriftsteller
Zakes Mda. »Berater und Experten in Sachen Emissionshandel kreisen bereits wie
Geier über dem Land und spähen nach umweltfreundlichen Komponenten in bereits
existierenden Projekten, die sich dann als Emissionsgutschriften nach Europa
verschachern lassen.« Bei manchen dieser vorgeblichen Klimaschutzprojekte kommt
dann obendrein der Umweltschutz und die Gesundheit der Menschen unter die Räder.
So müssen sich die Bewohner eines Armenviertels in Durban mit einer
Giftmülldeponie arrangieren, die seit Jahren für Krankheiten verantwortlich
gemacht wird. Nun darf sie nicht geschlossen werden, weil das Methangas daraus
abgeleitet und in »grüne« Energie umgewandelt werden soll – was sich wiederum
als Emissionsgutschrift verkaufen lässt.
Doch nicht nur Banken und
Großkonzerne haben den Klimawandel ins Herz geschlossen. Auch Politiker lieben
ihn, die Klimakatastrophe als Ausrede für staatliches oder gesellschaftliches
Versagen ist groß im Kommen. Mehr und mehr bildet sich ein Klima-Determinismus
heraus, der für seit langem bekannte Missstände eine bequeme neue Begründung
liefert.
Die Überflutung von New Orleans beispielsweise hatte
allenfalls indirekt mit dem zu diesem Zeitpunkt bereits schwachen Hurrikan
Katrina zu tun. Eine Flutwelle durchbrach erst im Nachgang die falsch
konstruierten Betonmauern der Stadt. New Orleans erlebte eine Katastrophe von
Menschenhand. Allerdings nicht per Umweg über das Kohlendioxid, sondern ganz
direkt durch behördliche Schlamperei und Ignoranz.
Die kanadischen Inuit
haben eine deutlich geringere Lebenserwartung als die übrigen Bewohner des
Landes, sechsmal so häufig Tuberkulose, die Arbeitslosigkeit ist viermal so
hoch, der zahlreiche Nachwuchs genießt selten eine höhere Schulbildung.
Alkoholismus, Depressionen und Gewalt sind an der Tagesordnung – und dies schon
seit Jahrzehnten. Keine ethnische Gruppe in der ganzen westlichen Welt hat eine
so hohe Selbstmordrate wie die Inuit. Die Gründe dafür sind vielschichtig, vor
allem ist es nicht gelungen, ihnen vernünftige Ausbildung angedeihen zu lassen
und Perspektiven zu geben. Doch anstatt über sozial- und strukturpolitische
Versäumnisse zu reden, zeigen Verantwortliche lieber auf den Klimawandel.
Auch die sozialen Missstände, die im heißen Sommer 2003 viele tausend
alte Franzosen das Leben kosteten, waren seit langem bekannt. 80 Prozent der
französischen Altenheime litten unter eklatantem Personalmangel, der in den
Urlaubsmonaten noch wuchs. Nicht die Hitze an sich, sondern die absolut
unzureichende Betreuung führte zum Tod vieler Menschen. Das waren keine
Klimaopfer, sondern Leidtragende von ganz konkreten Missständen. Diese müssen
hier und heute gelöst werden – und nicht in 100 Jahren auf dem Umweg über den
Klimaschutz.
Doch unverdrossen übertreffen sich die Prognosen mit
Schreckensmeldungen über künftige Hitzetote. »Jedes Jahr 86 000 Tote
durch Hitze in Europa«, verkündete Anfang 2007 eine Studie der EU-Kommission.
Dabei bleibt unerwähnt, dass nach Einschätzung der meisten Fachleute kalte
Winter deutlich mehr Opfer kosten als warme Sommer. In Großbritannien sterben im
Winter sogar mehr Menschen in Folge von Kälte als in Russland oder in Finnland.
Kern des Problems sind die niedrigen Renten; rund zwei Millionen Briten beziehen
nur eine kleine Mindestrente. Womit sich der Kreis schließt: Wenn die
Energiepreise dank Emissionshandel weiter steigen, geraten immer mehr alte
Menschen in Bedrängnis. Die Betroffenen können jetzt auf mildere Winter hoffen –
aber das hieße ja, dem Klimawandel etwas Positives abzugewinnen.
Quelle:
Von Dirk Maxeiner erscheint Anfang September das Buch »Hurra,
wir retten die Welt! Wie Politik und Medien mit der Klimaforschung umspringen«.
wjs-Verlag Berlin, 230 Seiten, 19,90 Euro
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