Deutsche Mini-GmbH wird viele Probleme machen
von Insolution Team
Handelsblatt: Herr Goette, die Bundesregierung will in
Deutschland etwas vollkommen Neuartiges einführen – eine Mini-GmbH ohne
Stammkapital. Halten Sie das für eine Bereicherung?
Goette: Nein. Ich
sehe keine praktische Notwendigkeit für eine solche so gut wie stammkapitallose
GmbH. Mit der vorgesehenen Herabsetzung des Mindeststammkapitals von 25 000 auf
10 000 Euro ist allen seriösen Gründern – auch einer „Fensterputzer-GmbH" -
geholfen. Die neue Unternehmensgründergesellschaft wird sicherlich eine Menge
von Anwendungsproblemen mit sich bringen. Vor allem aber zeigt sich hier, wie
inkonsequent die Reform ist. Der Gesetzgeber sagt – aus meiner Sicht zu Recht –
er wolle am bestehenden System des Kapitalschutzes festhalten, weil es sich
bewährt hat. Aber er tut das Gegenteil: Mit der Mini-GmbH bekommt man künftig
eine Haftungsbeschränkung, ohne den Eintrittspreis in Form des Stammkapitals
bezahlen zu müssen.
In England funktioniert das mit der
stammkapitallosen Limited doch ganz gut. Was ist so schlimm
daran?
Das deutsche System stellt strenge Anforderungen an die
Gründung: Man bekommt die Haftungsbeschränkung nur, wenn man die GmbH mit
entsprechendem Haftkapital ausstattet. Dafür kann man sich danach, wenn man die
gesetzlichen Regeln beachtet, auf die Haftungsbeschränkung im Großen und Ganzen
auch wirklich verlassen. Das angelsächsische System baut dagegen auf
nachgelagerten Kapitalschutz: Die Anforderungen sind relativ lax, aber nach der
Gründung sind viele Formalien zu beachten und das böse Erwachen droht, wenn man
mit dem Vermögen der Gesellschaft schlecht umgeht.
Noch einmal: Was
ist so schlimm daran?
Ich halte unser System für das eigentlich
liberalere: Hier kann man eine Gesellschaft gründen, und wenn man sie mit dem
versprochenen Haftkapital ausstattet, ist man auf der sicheren Seite. Unter dem
angelsächsischen System ist man immer in Gefahr, dass man hinterher in die
Haftung genommen wird. Durch die vorgesehene Reform wird, auch wenn sie am
präventiven Kapitalschutz festzuhalten verspricht, das deutsche System des
Eingangskapitalschutzes stark zurückgefahren. Die Frage ist, ob es dann nicht
besser wäre, es überhaupt aufzugeben und Nägel mit Köpfen zu machen, indem man
nur noch auf Verhaltenssteuerung der Gesellschafter und Geschäftsführer setzt,
also die nachträglich wirkende Haftung effektiv verschärft.
Die GmbH
ist vor allem für den Mittelstand da. Wird der durch das komplizierte
Kapitalschutzrecht nicht heillos überfordert?
Das wird immer
behauptet, stimmt aber nicht, wenn man sich an die klaren und an sich einfach zu
befolgenden Regeln des geltenden Rechts hält. Von den jetzt geplanten
Vereinfachungen des Regierungsentwurfs profitiert der Mittelstand am
allerwenigsten.
Inwiefern?
Ein Beispiel: Wenn jemand die
Einlage einzahlt und sie sich sofort wieder auszahlen lässt, dann beraubt er die
Gesellschaft ihres Haftkapitals, der Gesellschafter hat also den
„Eintrittspreis“ für die Erlangung der Haftungsbeschränkung nicht gezahlt.
Deshalb sagt die Rechtsprechung, dass in solchen Fällen die Einlageschuld nicht
getilgt wird, sondern bestehen bleibt. Jede spätere Zahlung bringt dann die
offene Einlageschuld zum Erlöschen, die Pflicht zu doppelter Zahlung kann es
nicht geben. Dahinter will der Regierungsentwurf zurückgehen, jedenfalls für
einige Fälle: Das Hin- und Herzahlen der Einlage soll doch Tilgungswirkung
haben, wenn die Auszahlung, die nach unserer Rechtsprechung
kapitalaufbringungsrechtlich ein „nullum“ ist, durch einen vollwertigen
Gegenanspruch gedeckt ist. Bei den meisten GmbH-Gesellschaftern ist das jedoch
nicht der Fall: Die haben nicht viel mehr als die Einlage, unter dem geltenden
Recht oft schon Mühe, nur die vorgeschriebene Hälfte der Einlageschuld
aufzubringen. Für diese große Gruppe bleibt es also bei der bisherigen
Rechtsprechung. Drastisch formuliert haben wir es in diesem Teilpunkt des
Regierungsentwurfs mit einem Nichtanwendungsgesetz zugunsten von Konzernen zu
tun.
Gibt es weitere Belege für Ihre These, dass die Reform vor allem
den Konzernen nützt?
Die gibt es, bei den neuen Regeln zur verdeckten
Sacheinlage beispielsweise. Gesellschafter müssen bei uns grundsätzlich ihre
Einlage bar leisten. Wollen sie stattdessen etwa ein Auto oder ein Unternehmen
einbringen, dann muss diese Sacheinlage im voraus offen gelegt und der
Gegenstand bewertet werden, das Registergericht überprüft die Werthaltigkeit im
Eintragungsverfahren. Diese Überprüfung könnte man umgehen, wenn die
Gesellschaft das Auto oder das Unternehmen einfach später kaufen könnte. Eine
solche verdeckte Sacheinlage behandeln wir als nichtig. Das hat die drastische,
nach dem bisherigen Verständnis des vorgängigen Kapitalschutzes aber als
notwendig erachtete Folge, dass in der Insolvenz der Insolvenzverwalter vom
Gesellschafter die Einlage erneut fordern kann, dieser aber seine Sacheinlage
nur entwertet zurückbekommt und zum Beispiel die Abnutzungsverluste nur mit der
Insolvenzquote bedient erhält. Diese starke wirtschaftliche Belastung ist zu
Recht kritisiert worden.
Und in Zukunft?
In Zukunft muss
man in diesen Fällen nur noch den Differenzbetrag zwischen dem versprochenen
Einlagebetrag und dem wahren Wert der Sache nachleisten. Und diesen wahren Wert
muss der Gesellschafter beweisen. Auf diese Weise kann ich mich als
Gesellschafter den normalen, Publizität und Werthaltigkeitskontrolle anordnenden
Sacheinlagevorschriften ganz leicht entziehen: In Zukunft kann verdeckt
eingelegt werden, das Wertgutachten muss der vorausschauend handelnde, richtig
beratene Gesellschafter nur noch aus dem Panzerschrank holen, um damit im
Nachhinein den Nachweis zu führen, dass die Sacheinlage werthaltig war. Das
dient nicht gerade dem Gläubigerschutz, und obendrein profitieren auch wieder
nur die großen Unternehmen, nicht aber die Masse der GmbHs.
Die
Konzerne hat Ihr Senat 2003 mit seinem Urteil zum Cash-Pooling in große
Schwierigkeiten gebracht. Das soll das neue Gesetz korrigieren. Wie gehen Sie
damit um?
Das damalige Urteil hat die Wirtschaft mit Recht unruhig
gemacht. Wenn man die Aussagen der Entscheidung wörtlich nimmt, führt es dazu,
dass die Muttergesellschaft von der Tochter praktisch keine Darlehen in Anspruch
nehmen kann. Dass das für den Liquiditätsausgleich im Konzern Probleme bereitet,
liegt auf der Hand. Der Regierungsentwurf korrigiert das: Künftig kommt es auch
hier nur darauf an, ob das Darlehen voll werthaltig ist. Ein Aktiventausch, also
Geld gegen werthaltige Forderung, ist somit unproblematisch. Anders als in dem
vielfältig kritisierten Referentenentwurf ist das jetzt rechtssicher formuliert
und wird jedenfalls nicht zu Anwendungsproblemen führen.
Also zum
Cash-Pooling keinerlei Kritik?
Nun ja. Man muss sehen, dass sich die
ohnehin schon außerordentlich strenge Haftung des Geschäftsführers weiter
verschärft: Auf ihn wird die Verantwortung für die Vollwertigkeit des
Gegenanspruchs verlagert. Die muss er im Voraus feststellen, und wenn er sich
dabei schuldhaft irrt, haftet er. Ihm bleibt im Übrigen, wie die
Entwurfsbegründung zutreffend betont, nicht erspart, die fortdauernde
Werthaltigkeit im Auge zu behalten und bei einer Verschlechterung der Lage der
Muttergesellschaft sofort zu reagieren. Generell zieht sich die Verschärfung der
Geschäftsführerhaftung wie ein roter Faden durch das Gesetz.
Und wie
steht es mit der Haftung der Gesellschafter?
Die nimmt der
Gesetzentwurf nach meinem Eindruck nicht genügend in den Fokus. Die
Verantwortung, die Gesellschaft ordentlich abzuwickeln, trägt beispielsweise nur
der Geschäftsführer, nicht der Gesellschafter. Hier hätte man sich mehr Mut und
Phantasie gewünscht. Immerhin traut die Regierung der Rechtsprechung aber
ausdrücklich zu, sachgerechte Regeln für diese Fälle Existenz vernichtender
Eingriffe zu entwickeln.
Immerhin versucht der Gesetzgeber, dem
Unwesen der „Firmenbestatter“ Herr zu werden.
Da gibt es punktuelle
Regelungen, die auch die Gesellschafter in die Pflicht nehmen, etwa wenn sie
keinen Geschäftsführer bestellen oder es keine zustellungsfähige Adresse der
GmbH gibt. Das ist sicherlich sehr vernünftig.
Was halten Sie denn von
den neuen Regeln zur Gesellschafterfremdfinanzierung?
Das ist eine
zweischneidige Sache. Der historische Gesetzgeber von 1892 hatte sich
vorgestellt, dass die Finanzierung über Gesellschafter-Nachschüsse stattfindet.
Diese Regelung ist nicht angenommen worden. Stattdessen sind die Gesellschafter
in das Modell der Darlehensgewährung ausgewichen, wollten also wegen ihrer
Leistungen behandelt werden wie alle außenstehenden Gläubiger der GmbH. Das hat
der Gesellschaftsrechtssenat des Bundesgerichtshofs in einer langjährigen
Rechtsprechung und unter dem Beifall des Schrifttums für unangemessen und
ungerecht erachtet und die Gesellschafterforderungen in bestimmten Situationen
wie haftendes Kapital behandelt.
In der Praxis kommt mit der
Rechtsprechung Ihres Senats kein Mensch zurecht.
Das
Eigenkapitalersatzrecht ist zugegebenermaßen nicht gerade übersichtlich, was
aber zu einem erheblichen Teil daran liegt, dass die Gesellschafter den
bestehenden Regeln ausweichen wollen und wir darauf reagieren müssen. Zur
Unübersichtlichkeit hat aber auch der verunglückte Versuch des Gesetzgebers des
Jahres 1980 beigetragen, unsere Rechtsprechung zu kodifizieren. Jetzt will man
das Eigenkapitalersatzrecht ganz aufgeben. Künftig kann der Insolvenzverwalter
alle Rückzahlungen auf Gesellschafterdarlehen, die bis zu einem Jahr vor
Insolvenzantragstellung gewährt worden sind, anfechten. Man muss ganz klar
sehen: Damit wird ein weiterer Stein aus unserem Kapitalschutzrecht
herausgebrochen. Denn bisher musste der Geschäftsführer einer insolvenzreifen
GmbH die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen verweigern. Das muss er jetzt
nicht mehr. Das Geld fließt ab, und die Gläubiger müssen zusehen, ob es durch
die Anfechtung zurückgeholt werden kann.
Für die Gesellschafter wird
das aber auch nicht schön.
Das kommt dazu. Jetzt kann es passieren,
dass man als Gesellschafter einem kerngesunden Unternehmen ein Darlehen gibt und
sich darauf Zinsen und Tilgungsleistungen zahlen lässt, einige Monate später ein
Schuldner ausfällt und das Unternehmen deswegen Insolvenzantrag stellen muss.
Der Gesellschafter hat sich völlig redlich verhalten. Trotzdem soll er nach dem
Regierungsentwurf aus Vereinfachungsgründen haften. Das ist wenig gerecht. Damit
wird sich aber künftig nicht mehr unser Senat, sondern der für das
Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat beschäftigen müssen.
Quelle:
Handelsblatt Gespräch mit Professor Dr. Wulf Goette, Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof
Weiterführende Links:
http://www.handelsblatt.com
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