Deutsche Mini-GmbH wird viele Probleme machen

von Insolution Team

Die Bundesregierung plant die größte Reform des GmbH-Rechts seit 1892. Doch diese wird Firmengründer vor viele neue Probleme und Herausforderungen stellen, warnt Wulf Goette, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof. Der II. Zivilsenat, dem er vorsteht, hat in der Vergangenheit im Gesellschaftsrecht mit großem Selbstbewusstsein geurteilt – und bei Firmen, Wissenschaftlern und dem Gesetzgeber teils heftigen Widerspruch ausgelöst. Das Gespräch führte Maximilian Steinbeis vom Handelsblatt

Handelsblatt: Herr Goette, die Bundesregierung will in Deutschland etwas vollkommen Neuartiges einführen – eine Mini-GmbH ohne Stammkapital. Halten Sie das für eine Bereicherung?

Goette: Nein. Ich sehe keine praktische Notwendigkeit für eine solche so gut wie stammkapitallose GmbH. Mit der vorgesehenen Herabsetzung des Mindeststammkapitals von 25 000 auf 10 000 Euro ist allen seriösen Gründern – auch einer „Fensterputzer-GmbH" - geholfen. Die neue Unternehmensgründergesellschaft wird sicherlich eine Menge von Anwendungsproblemen mit sich bringen. Vor allem aber zeigt sich hier, wie inkonsequent die Reform ist. Der Gesetzgeber sagt – aus meiner Sicht zu Recht – er wolle am bestehenden System des Kapitalschutzes festhalten, weil es sich bewährt hat. Aber er tut das Gegenteil: Mit der Mini-GmbH bekommt man künftig eine Haftungsbeschränkung, ohne den Eintrittspreis in Form des Stammkapitals bezahlen zu müssen.

In England funktioniert das mit der stammkapitallosen Limited doch ganz gut. Was ist so schlimm daran?

Das deutsche System stellt strenge Anforderungen an die Gründung: Man bekommt die Haftungsbeschränkung nur, wenn man die GmbH mit entsprechendem Haftkapital ausstattet. Dafür kann man sich danach, wenn man die gesetzlichen Regeln beachtet, auf die Haftungsbeschränkung im Großen und Ganzen auch wirklich verlassen. Das angelsächsische System baut dagegen auf nachgelagerten Kapitalschutz: Die Anforderungen sind relativ lax, aber nach der Gründung sind viele Formalien zu beachten und das böse Erwachen droht, wenn man mit dem Vermögen der Gesellschaft schlecht umgeht.

Noch einmal: Was ist so schlimm daran?

Ich halte unser System für das eigentlich liberalere: Hier kann man eine Gesellschaft gründen, und wenn man sie mit dem versprochenen Haftkapital ausstattet, ist man auf der sicheren Seite. Unter dem angelsächsischen System ist man immer in Gefahr, dass man hinterher in die Haftung genommen wird. Durch die vorgesehene Reform wird, auch wenn sie am präventiven Kapitalschutz festzuhalten verspricht, das deutsche System des Eingangskapitalschutzes stark zurückgefahren. Die Frage ist, ob es dann nicht besser wäre, es überhaupt aufzugeben und Nägel mit Köpfen zu machen, indem man nur noch auf Verhaltenssteuerung der Gesellschafter und Geschäftsführer setzt, also die nachträglich wirkende Haftung effektiv verschärft.

Die GmbH ist vor allem für den Mittelstand da. Wird der durch das komplizierte Kapitalschutzrecht nicht heillos überfordert?

Das wird immer behauptet, stimmt aber nicht, wenn man sich an die klaren und an sich einfach zu befolgenden Regeln des geltenden Rechts hält. Von den jetzt geplanten Vereinfachungen des Regierungsentwurfs profitiert der Mittelstand am allerwenigsten.

Inwiefern?

Ein Beispiel: Wenn jemand die Einlage einzahlt und sie sich sofort wieder auszahlen lässt, dann beraubt er die Gesellschaft ihres Haftkapitals, der Gesellschafter hat also den „Eintrittspreis“ für die Erlangung der Haftungsbeschränkung nicht gezahlt. Deshalb sagt die Rechtsprechung, dass in solchen Fällen die Einlageschuld nicht getilgt wird, sondern bestehen bleibt. Jede spätere Zahlung bringt dann die offene Einlageschuld zum Erlöschen, die Pflicht zu doppelter Zahlung kann es nicht geben. Dahinter will der Regierungsentwurf zurückgehen, jedenfalls für einige Fälle: Das Hin- und Herzahlen der Einlage soll doch Tilgungswirkung haben, wenn die Auszahlung, die nach unserer Rechtsprechung kapitalaufbringungsrechtlich ein „nullum“ ist, durch einen vollwertigen Gegenanspruch gedeckt ist. Bei den meisten GmbH-Gesellschaftern ist das jedoch nicht der Fall: Die haben nicht viel mehr als die Einlage, unter dem geltenden Recht oft schon Mühe, nur die vorgeschriebene Hälfte der Einlageschuld aufzubringen. Für diese große Gruppe bleibt es also bei der bisherigen Rechtsprechung. Drastisch formuliert haben wir es in diesem Teilpunkt des Regierungsentwurfs mit einem Nichtanwendungsgesetz zugunsten von Konzernen zu tun.

Gibt es weitere Belege für Ihre These, dass die Reform vor allem den Konzernen nützt?

Die gibt es, bei den neuen Regeln zur verdeckten Sacheinlage beispielsweise. Gesellschafter müssen bei uns grundsätzlich ihre Einlage bar leisten. Wollen sie stattdessen etwa ein Auto oder ein Unternehmen einbringen, dann muss diese Sacheinlage im voraus offen gelegt und der Gegenstand bewertet werden, das Registergericht überprüft die Werthaltigkeit im Eintragungsverfahren. Diese Überprüfung könnte man umgehen, wenn die Gesellschaft das Auto oder das Unternehmen einfach später kaufen könnte. Eine solche verdeckte Sacheinlage behandeln wir als nichtig. Das hat die drastische, nach dem bisherigen Verständnis des vorgängigen Kapitalschutzes aber als notwendig erachtete Folge, dass in der Insolvenz der Insolvenzverwalter vom Gesellschafter die Einlage erneut fordern kann, dieser aber seine Sacheinlage nur entwertet zurückbekommt und zum Beispiel die Abnutzungsverluste nur mit der Insolvenzquote bedient erhält. Diese starke wirtschaftliche Belastung ist zu Recht kritisiert worden.

Und in Zukunft?

In Zukunft muss man in diesen Fällen nur noch den Differenzbetrag zwischen dem versprochenen Einlagebetrag und dem wahren Wert der Sache nachleisten. Und diesen wahren Wert muss der Gesellschafter beweisen. Auf diese Weise kann ich mich als Gesellschafter den normalen, Publizität und Werthaltigkeitskontrolle anordnenden Sacheinlagevorschriften ganz leicht entziehen: In Zukunft kann verdeckt eingelegt werden, das Wertgutachten muss der vorausschauend handelnde, richtig beratene Gesellschafter nur noch aus dem Panzerschrank holen, um damit im Nachhinein den Nachweis zu führen, dass die Sacheinlage werthaltig war. Das dient nicht gerade dem Gläubigerschutz, und obendrein profitieren auch wieder nur die großen Unternehmen, nicht aber die Masse der GmbHs.

Die Konzerne hat Ihr Senat 2003 mit seinem Urteil zum Cash-Pooling in große Schwierigkeiten gebracht. Das soll das neue Gesetz korrigieren. Wie gehen Sie damit um?

Das damalige Urteil hat die Wirtschaft mit Recht unruhig gemacht. Wenn man die Aussagen der Entscheidung wörtlich nimmt, führt es dazu, dass die Muttergesellschaft von der Tochter praktisch keine Darlehen in Anspruch nehmen kann. Dass das für den Liquiditätsausgleich im Konzern Probleme bereitet, liegt auf der Hand. Der Regierungsentwurf korrigiert das: Künftig kommt es auch hier nur darauf an, ob das Darlehen voll werthaltig ist. Ein Aktiventausch, also Geld gegen werthaltige Forderung, ist somit unproblematisch. Anders als in dem vielfältig kritisierten Referentenentwurf ist das jetzt rechtssicher formuliert und wird jedenfalls nicht zu Anwendungsproblemen führen.

Also zum Cash-Pooling keinerlei Kritik?

Nun ja. Man muss sehen, dass sich die ohnehin schon außerordentlich strenge Haftung des Geschäftsführers weiter verschärft: Auf ihn wird die Verantwortung für die Vollwertigkeit des Gegenanspruchs verlagert. Die muss er im Voraus feststellen, und wenn er sich dabei schuldhaft irrt, haftet er. Ihm bleibt im Übrigen, wie die Entwurfsbegründung zutreffend betont, nicht erspart, die fortdauernde Werthaltigkeit im Auge zu behalten und bei einer Verschlechterung der Lage der Muttergesellschaft sofort zu reagieren. Generell zieht sich die Verschärfung der Geschäftsführerhaftung wie ein roter Faden durch das Gesetz.

Und wie steht es mit der Haftung der Gesellschafter?

Die nimmt der Gesetzentwurf nach meinem Eindruck nicht genügend in den Fokus. Die Verantwortung, die Gesellschaft ordentlich abzuwickeln, trägt beispielsweise nur der Geschäftsführer, nicht der Gesellschafter. Hier hätte man sich mehr Mut und Phantasie gewünscht. Immerhin traut die Regierung der Rechtsprechung aber ausdrücklich zu, sachgerechte Regeln für diese Fälle Existenz vernichtender Eingriffe zu entwickeln.

Immerhin versucht der Gesetzgeber, dem Unwesen der „Firmenbestatter“ Herr zu werden.

Da gibt es punktuelle Regelungen, die auch die Gesellschafter in die Pflicht nehmen, etwa wenn sie keinen Geschäftsführer bestellen oder es keine zustellungsfähige Adresse der GmbH gibt. Das ist sicherlich sehr vernünftig.

Was halten Sie denn von den neuen Regeln zur Gesellschafterfremdfinanzierung?

Das ist eine zweischneidige Sache. Der historische Gesetzgeber von 1892 hatte sich vorgestellt, dass die Finanzierung über Gesellschafter-Nachschüsse stattfindet. Diese Regelung ist nicht angenommen worden. Stattdessen sind die Gesellschafter in das Modell der Darlehensgewährung ausgewichen, wollten also wegen ihrer Leistungen behandelt werden wie alle außenstehenden Gläubiger der GmbH. Das hat der Gesellschaftsrechtssenat des Bundesgerichtshofs in einer langjährigen Rechtsprechung und unter dem Beifall des Schrifttums für unangemessen und ungerecht erachtet und die Gesellschafterforderungen in bestimmten Situationen wie haftendes Kapital behandelt.

In der Praxis kommt mit der Rechtsprechung Ihres Senats kein Mensch zurecht.

Das Eigenkapitalersatzrecht ist zugegebenermaßen nicht gerade übersichtlich, was aber zu einem erheblichen Teil daran liegt, dass die Gesellschafter den bestehenden Regeln ausweichen wollen und wir darauf reagieren müssen. Zur Unübersichtlichkeit hat aber auch der verunglückte Versuch des Gesetzgebers des Jahres 1980 beigetragen, unsere Rechtsprechung zu kodifizieren. Jetzt will man das Eigenkapitalersatzrecht ganz aufgeben. Künftig kann der Insolvenzverwalter alle Rückzahlungen auf Gesellschafterdarlehen, die bis zu einem Jahr vor Insolvenzantragstellung gewährt worden sind, anfechten. Man muss ganz klar sehen: Damit wird ein weiterer Stein aus unserem Kapitalschutzrecht herausgebrochen. Denn bisher musste der Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen verweigern. Das muss er jetzt nicht mehr. Das Geld fließt ab, und die Gläubiger müssen zusehen, ob es durch die Anfechtung zurückgeholt werden kann.

Für die Gesellschafter wird das aber auch nicht schön.

Das kommt dazu. Jetzt kann es passieren, dass man als Gesellschafter einem kerngesunden Unternehmen ein Darlehen gibt und sich darauf Zinsen und Tilgungsleistungen zahlen lässt, einige Monate später ein Schuldner ausfällt und das Unternehmen deswegen Insolvenzantrag stellen muss. Der Gesellschafter hat sich völlig redlich verhalten. Trotzdem soll er nach dem Regierungsentwurf aus Vereinfachungsgründen haften. Das ist wenig gerecht. Damit wird sich aber künftig nicht mehr unser Senat, sondern der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat beschäftigen müssen.

Quelle: Handelsblatt Gespräch mit Professor Dr. Wulf Goette, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof


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